Special Olympics hat Marina Müller eine andere Welt eröffnet
Marina Müller bittet um Ruhe, „jetzt stellt euch bitte für das Angrüßen auf“. Es wird ganz still, die Judoka stellen sich auf, knien sich hin, alle verbeugen sich tief nach vorne. Dann beginnt für die sogenannte ID-Gruppe das Training beim TVE 1848 in der Jahnturnhalle in Erlangen – ID steht für Intellectual Disability. Seit Mai 2024, immer dienstags um 16.30 Uhr, treffen sich dort judobegeisterte Menschen mit Beeinträchtigung. Die Gruppe ist in Zusammenarbeit mit dem TVE und der Lebenshilfe entstanden. Marina Müller war die Initiatorin und sie ist mit Herzblut und Professionalität Trainerin. Drei weitere Trainer bilden mit ihr ein Team. Auch zwei ehrenamtliche Helferinnen machen mit.
Mit Judo ist Marina Müller aufgewachsen, denn ihr Großvater hat in ihrem Heimatort Nittendorf bei Regensburg den örtlichen Judoverein aufgebaut. Mit acht Jahren hat sie dort angefangen, wurde schnell Judoassistentin und mit 16 schon Trainerin. Bereits seit Langem trainiert sie Menschen mit Beeinträchtigung. „Es fing damit an, dass in meinem Heimatverein die Tochter meines Arztes bei uns im Judo war. Sie hat das Down-Syndrom. Wir waren damals zusammen eine Woche bei den Nationalen Spielen von Special Olympics in Düsseldorf.“ Das habe sie geprägt: „Ich war so fasziniert, es hat mir eine andere Welt eröffnet. Diese Unvoreingenommenheit, der Glaube an das Gute, nicht dieses Verkopfte, das ist einzigartig. Es erdet einen, man kann sein, wie man ist und ist im Hier und Jetzt,“ erzählt die 34-Jährige begeistert.
Marina Müller ist als nationale Koordinatorin für Judo bei den Special Olympics häufig als Coach eigebunden und viel unterwegs. Bei den anstehenden bayerischen Landesspielen ist sie natürlich auch dabei. Aus ihrer Erlanger ID-Gruppe machen zwölf Leute mit. „Darauf bin ich echt stolz. Und gerade erst Anfang Februar waren einige von uns bei der offenen bayerischen Einzelmeisterschaft im ID-Judo erfolgreich. Franziska Reinsperger erkämpfte sich den ersten Platz.“ Gold gab es für Timo Brunner und Jens Dauth. Silber für Sara Gezai, Raphael Schlichting, Johanna Wohlfahrt, Justhin Beaton und Pascal Posehn. Bronze erhielten Florian Wolfram, Sebastian Vollrath und Nika Weckesser.
Es sei beeindruckend, welche Fortschritte die Gruppe in knapp einem Jahr gemacht habe: „Am Anfang klappte nicht einmal das Fangspiel zum Aufwärmen.“ Wichtig sei dem Trainerteam, dass sich alle an Regeln halten, diszipliniert sind und gut miteinander umgehen. Wenn das nicht klappt, wird es sofort geklärt. Die Judoka akzeptieren das – sie spüren wohl, wie respektvoll und ernsthaft sie trainiert werden. Alle scheinen wirklich großen Spaß zu haben und den Willen, gut zu sein. In das Gesamtbild passt auch, dass der Mitgliedsbeitrag angepasst ist, damit sich die Teilnehmenden, ihren Kurs selbst leisten können.
Aylin Alyagut sagt: „Mir macht alles Spaß beim Judo, aber die Fallschule ist am besten.“ Jens Dauth hat früher Kickboxen und Taekwondo gemacht: „Das ist jetzt mal was anderes, mal schauen was ich bei den Landesspielen hinkriege.“ Johanna Wohlfahrt freut sich auf die Spiele in Erlangen, aber „ich bin auch ein bisschen aufgeregt“. Dann sagt sie noch: „Ich liebe Judo!“ Dabei nimmt sie die Hand von Marina Müller, strahlt über das ganze Gesicht und lässt ihre Trainerin kaum los. Eine Szene, die anrührt.
Wie geht es weiter mit der ID-Gruppe, wird es auch ein inklusives Judo-Training im TVE 48 geben? „Diese Gruppe, in der wir Basistraining vermitteln, soll auf jeden Fall bestehen blieben. Natürlich wollen wir innerhalb der Judoabteilung so viele Berührungspunkte wie möglich schaffen. Dazu gehört auch, die ID Judoka sinnvoll in andere Angebote der Abteilung zu integrieren. Unsere Franzi zum Beispiel trainiert seit bereits 30 Jahren in der Regelsportgruppe“, erläutert Marina Müller.
Neben all ihrem Engagement im TVE und bei Special Olympics ist sie Mitarbeiterin bei adidas. Auch da puscht sie das Thema Inklusion im Sport und es ist das Ziel, mit Partnern, hier Angebote zu schaffen. Bei den bayerischen Landesspielen im Sommer stellt adidas auch Volunteers.
Nun ist es bald 18 Uhr, das Judotraining für heute geht zu Ende. So wie es ein Ritual zur Begrüßung gibt, gibt es auch eines zum Abschied nach dem gleichen Muster. Dafür sollen alle nochmal zur Ruhe kommen. Das dauert ein bisschen, aber es funktioniert. Dann bis zum nächsten Mal und „vergesst nicht, dass wir Ende März gemeinsam mit anderen Athletinnen und Athleten in München für die Spiele trainieren“, erinnert Marina Müller.
Bericht: Anja de Bruyn